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Gebärden als Unterstützung für Kinder mit besonderem Förderbedarf

Gebärden als Unterstützung für Kinder mit besonderem Förderbedarf

Beitrag von Ulrike Funke vom Institut für Wahrnehmung & Autismus
Gebärden bei Kindern mit besonderem Förderbedarf

Jeder Mensch und jedes Kind hat seine eigene Wahrnehmung und sein persönliches Empfinden. Alle Kinder sollten von Beginn an die Erfahrung machen, dass der Kontakt zum Gegenüber ein wohliges Gefühl hinterlassen kann. Als Logopädin mit der Spezifikation Autismus sind Gebärden für mich ein unverzichtbares Werkzeug im Bereich Interaktion und Kommunikation. Die “sprechenden Hände” ermöglichen einen lebendigen, spannenden und spielerischen Austausch mit dem Gegenüber.

Wenn Eltern berichten, dass sie es mit den Gebärden bereits versucht haben, die Kinder diese aber nicht angenommen haben, liegt es oft daran, dass sie für dieses Kind nicht passend angeboten wurden. Gerade bei der Einführung müssen die Gebärden so gestaltet werden, dass sie vom Kind als Bereicherung empfunden werden, um zum Mitmachen und folgend zum Nachahmen zu motivieren.

Beim Einsatz von Gebärden werden vielfältige Informationen erlebbar, die zusätzlich bedeutsam miteinander verknüpft werden: Sehen, Hören und Fühlen. Mit Gebärden wird Sprache nicht nur hörbar, sonder auch sichtbar und spürbar! Diese Vielfalt sollte gerade für Kinder mit besonderen Bedürfnissen jedoch nicht Überforderung bedeuten, sondern sie sollte im Sinne eines spannenden und positiv mot

ivierenden Spiels dargeboten werden, indem die einzelnen Bausteine individuell passend angeboten und folgend miteinander verknüpft werden.

 

Folgende Wahrnehmungsbereiche sind beim Gebärden beteiligt:

Sehen: Die sich bewegenden Hände bieten eine visuell spannende Information. Zumeist in Gesichtsnähe ausgeführt, lenken sie die Aufmerksamkeit auf das ausgewählte Wort und auf das Gegenüber. Dabei dürfen die einzelnen Bewegungen, besonders zu Beginn, gerne etwas größer und wenn möglich mit einer dynamischeren Bewegung deutlicher gestaltet werden. Auch die Mimik, die Augen- und die Mundbewegungen beim Sprechen sollten klar visuell erkennbar sein.

Hören: Um das begleitende Sprechen spannend und aufmerksamkeitslenkend anzubieten, darf der ausgewählte Tierlaut, das Geräusch eines Fahrzeuges oder eine interessante Wortspielerei mit Hilfe von Ton- und Lautstärkevariationen ebenfalls verstärkt und ggf. auch überraschend hörbar werden.

Fühlen: Insbesondere im Hinblick auf die Körperwahrnehmung bieten die Gebärden weitere vielfältige und spannende Möglichkeiten. Die Bewegung wird dabei nicht nur vorgeführt und das Kind zum Nachahmen aufgefordert, sondern die Gebärde wird gemeinsam mit dem Kind durchgeführt, verbunden mit einem direkten körperlichen Kontakt. Dieser Körperkontakt muss unbedingt mit einem für das Kind passenden körperlichen Impuls verbunden sein.

Gerade Kinder mit einer besonderen oder anderen Körperwahrnehmung, wie autistische Kinder, profitieren häufig von dieser Herangehensweise, da diese häufig in Extremen spüren. Dabei werden sanfte Angebote wie ein Streicheln oft als unangenehm wahrgenommen, feste Druckangebote oder eine tiefgehende Massage hingegen als wohltuend erlebt. Auch eine mittelfeste Berührung oder ein sehr kurz gesetzter Impuls verwirrt eher und wird folgend abgelehnt. Deshalb ist es bei diesen Kindern nochmals wichtiger, dass das Angebot ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Wenn z. B. die Gebärde für Schwein mit einem festen Kneten oder einem Druck auf die Nase angeboten wird, wird es möglich, dass diese zusätzliche Stimulation die Aufmerksamkeit für diesen (Kommunikations-) Moment positiv verstärkt.

 

Das Verbinden der Informationen

Autistische und auch andere Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Lernschwierigkeiten haben oft Probleme, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu lenken, Informationen zu verknüpfen und Gesehenes auf sich selbst zu beziehen - deshalb können sie Handlungen nur schwer imitieren. Der Aufforderung, eine Gebärde alleine durch Beobachtung nachzuahmen, können sie deshalb oft nicht nachkommen. Eine gemeinsam durchgeführte Gebärde, Hand in Hand mit dem Gegenüber erleichtert das Erlernen der Bewegung. Zusätzlich wird die Aufmerksamkeit immer wieder von der eigenen Person zur anderen gelenkt und es entsteht ein wohltuender und wechselseitiger Dialog, in dem auditive, visuelle und körperliche Informationen miteinander verbunden werden.

 

Hilfen, um die Gebärden individuell passend auszuwählen

Damit die durchgeführte Gebärde ein Wohlgefühl auslöst, ist ein wacher Blick, wie das Kind mit sich selbst in Kontakt ist, hilfreich. Wenn es sich im Tagesverlauf eher sanft durch das Gesicht streicht, erfolgt auch da Angebot eher behutsam. Wenn das Kind hingegen z. B. seine Faust eher fest gegen die Wange oder die Nase drückt, wird ein kräftigeres Angebot benötigt. Wenn das Kind sich bei Erregung zum Teil sogar auf die Nase oder gegen den Kopf schlägt, muss die Gebärde nochmals kräftiger ausgeführt werden – selbstverständlich ohne das Kind dabei zu verletzen. Wichtig: Wenn Kinder sich, insbesondere bei erhöhter Anspannung, selbst verletzen, ist eine sanfte Berührung für sie ein unangenehmes und oft sogar schmerzhaftes Erlebnis!

Wenn wir das häufige Bedürfnis nach einer starken und beruhigenden Information erkennen und dies im Alltag und z. B. auch beim gemeinsamen Gebärden aktiv anbieten, wird das gemeinsame Tun für das Kind ein wünschenswerter und positiver Moment. Die Einführung der Gebärden sollte dabei in entspannten Situationen erfolgen und nicht in Zeiten, in denen das Kind bereits ge-/überfordert ist.

Viele Gebärden können im Hinblick auf die besondere körperliche Impulssuche spannend oder auch entspannend abgeändert werden. Sie sollten ausgeweitet, verstärkt oder variiert werden, so dass sie den individuellen Bedürfnissen entsprechen. Wenn das Kind z. B. mit den Händen wedelt oder mit den Beinen fest auf den Boden stampft, sollte dies in die Gestaltung mit einbezogen werden. Hier würden sich z.B. die Gebärde „Pferd“ bzw. „Elefant“ anbieten. Eine “passende” Gebärde erfährt von Beginn an eine gute Aufmerksamkeit und wird vom Kind bald eingefordert oder selbstständig angewandt.

Ein Anpassen an die reguläre Gebärde erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt!

 

Die Anbahnung

Wenn die Hand des Kindes geführt werden soll, darf der Kontakt gerne bereits mit einem festen und in jedem Falle wohltuenden Griff erfolgen, ggf. noch kombiniert mit einer Massage. Die Bewegung wird flüssig und gemeinsam mit dem Kind ausgeführt - je nach Bedürfnis des Kindes eventuell mit einer zusätzlichen Vibration, einer größeren Auflagefläche, einer Veränderung der Geschwindigkeit oder mit einer Richtungsänderung. Auch ein abruptes Ende der Bewegung, z. B. durch das schwungvolle Eintauchen in ein Kissen oder ein festes Aufeinandertreffen der Handflächen sind weitere intensivierende Stimuli.

Wenn möglich und wenn vom Kind gewünscht, sollte die Gebärde auch mehrmals wiederholt werden. Aber nur, wenn die positive Aufmerksamkeit des Kindes beobachtbar ist.

Zu Beginn reicht ein „Sich-bewegen-lassen“ des Kindes aus, bald wird sich das Kind in die Bewegung mehr und mehr einbringen und diese dann ggf. eigenständig übernehmen. Es sei denn, das gemeinsame Tun macht dem Kind so viel Freude, dass diese Variante ab und an weiter angeboten werden sollte.

Im Verlauf können die Gebärden auch im gegenseitigen Wechsel durchgeführt werden, dann unterstützen die »sprechenden Hände« nicht nur die lautsprachliche Kommunikation, sondern sind auch langfristig ein wichtiges gemeinsames Erlebnis im Turn-Taking (kommunikativer Austausch mit dem Gegenüber).

 

 

Ein Beispiel: Die Einführung für die Gebärde »Pferd«

Beim Absolvieren eines Puzzles, beim Zusammensetzen eines Sound-Würfels, beim Spielen mit Handpuppen oder dem Kuscheltier.... immer dann, wenn das Wort »Pferd« in den Fokus rückt, wird dies mit der gemeinsam durchgeführten Gebärde begleitet.

Bei der Gebärde »Pferd« zeigen die Arme das Halten und die Bewegung der Zügel an. Beim geführten Gebärden wird diese “sanfte” Bewegung, besonders bei bewegungssuchenden Kindern abgeändert: Das Umschließen der Hände erfolgt zumeist mit festem Griff, die Arme werden dann kräftig auf und ab bewegt, ähnlich einem schweren Seil, das im hohen Bogen geschwungen wird. Dabei können auch die Schultern und der gesamte Oberkörper in das „Durchschütteln“ miteinbezogen werden.

Visuell sollte zusätzlich zu der beobachtbaren Bewegung der Arme und Hände auch die Mimik gut sichtbar sein, insbesondere durch weit nach vorn gestülpte Lippen beim Lautieren. Das „Hühü“ oder „Hop-hoppla-hop“ kann ebenfalls prägnant und mit besonderer Betonung angeboten werden.

Eine zusätzliche Hilfe ist eine Verringerung des räumlichen Abstands, so fällt die Fokussierung auf die Gebärden oft leichter. Häufig gilt, je intensiver die Bewegung, je prägnanter der Druck, je deutlicher die Vibration, je spannender das Geräusch, je faszinierender das visuelle Angebot, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind diesen Moment positiv erlebt. Alle Angebote werden stets im Einverständnis mit dem Kind durchgeführt, sie dürfen niemals als Bedrohung oder Belastung erlebt werden.

Gerade zu Beginn wird dabei die Aufmerksamkeit weniger beim Gegenüber sein, sondern eher beim eigenen Spüren und Wahrnehmen. Solange darf die Bewegung ausschließlich einen wohltuenden körperlichen Input für das Kind bedeuten. Erst später wird es auch das Gegenüber wahrnehmen und das Kind erlebt sich als Dialogpartner. Erst folgend wird die Gebärde als Möglichkeit zur Kommunikation genutzt - doch dieser Schritt braucht Zeit. Bis dahin darf das Kind die Gebärde einfach als einen Moment erleben, der Freude bereitet.

Ich wünsche allen Kindern, Eltern und den Begleitenden viel Freude beim gemeinsamen Gebärden!

Ulrike Funke

Institut für Wahrnehmung & Autismus

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